Ich bin fasziniert von “Natursekt”.
Aus zeichentheoretischen Gründen.
Warum heißt Natursekt “Natursekt”? Zunächst einmal, grenzt dieses Kompositum das Bezeichnete vom Sekt ab. So weit, so klar. Pisse statt Perlwein. Aber irgendwie eben auch Natursekt statt Sekt. Also als ob Sekt nicht natürlich wäre. Ein Produkt aus vergorenem Traubensaft rückt durch den von Fetischisten verwendeten Euphemismus für Urin irgendwie in die Nähe der Unnatürlichkeit. Das finde ich unfair. Vor allem aber blödsinnig. Denn was ist an Urin natürlicher als an Sekt? Stellt Euch mal die Pisse von jemandem vor, der eine Fetischparty lang nur Wodka-Bull gesoffen hat. Das kann kein Natursekt sein. Echt nicht.
Aber ja, ich kann mir denken warum der Unterschied zwischen Auszuscheidendem und Auszuschenkendem über die “Natur” läuft. Sekt wird handwerklich hergestellt. Er reift in Flaschen, die im Lager- und Reifeprozess gedreht werden müssen. Insofern entsteht Sekt doch eher mittels Technik, während die Urinproduktion ohne bewusstes Eingreifen des Menschen funktioniert.
Dennoch hat Urin wenig mit Spumante zu tun. Das Zeug perlt doch gar nicht. Gemeinhin sollten aber solche Umschreibungen folgendermaßen funktionieren: Über Ähnlichkeitsmerkmale. Bestes Beispiel aus der nähren Umgebung: Schwanz im Sinne von Penis. Baumelt halt so am Unterleib zwischen den Beinen. Zwar vorne und nicht hinten wie die eigentlichen Schwänze, aber es geht ja nur um Ähnlichkeiten. Um signifikante allerdings. Ein wichtiges Merkmal am Sekt ist doch die darin enthaltene Kohlensäure. Und die fehlt dem Urin. Es war wohl die Farbe der beiden Flüssigkeiten, die zur Analogie der Bezeichnungen führte. Allerdings hätten die Pissfetischisten dann auch Naturapfelwein sagen können. Immerhin ist Apfelwein wirklich ein Naturprodukt.
Falsch. Also, nicht die Information zum Apfelwein, sondern die Begriffsalternative.
Erstens neigt der Mensch beim Bezeichnen dazu, griffige Schlagworte zu prägen. Natursekt ist prägnanter als Naturapfelwein. Nebenbei muss natürlich auch an die hessischen Pinkelfreunde gedacht werden. “Naturebbelwoi” klingt vielleicht nicht ganz so geil wie “Natursekt”. Andererseits böten sich ganz neue Dirty-Talk-Varianten in der Kombination mit dem Attribut “naturtrüb”… Aber, derlei Gedankenspiel ist müßig, denn:
Zweitens ist das Wort “Apfelwein” nicht nur umständlicher als “Sekt”, Sekt ist auch edler, eventuell gar dekadenter, auf jeden Fall aber feierlicher. Und der Fetisch gehört ordentlich überhöht.
Ich merke gerade, so schwachsinnig, wie ich dachte, ist der Begriff “Natursekt” gar nicht. Und arbiträr gewählt offensichtlich auch nicht.
Mal wieder hat mir die Linguistik weitergeholfen. Toll.
(Ja, ich denke über sowas nach. Und manchmal muss ich es aufschreiben, um beim Denken zu einem Ergebnis zu kommen. Das nicht immer meinem Vorurteil entsprechen muss.)