Bekenntniskrampf

Wir müssen diesem frommen Wahnsinn Einhalt gebieten! Pro Reli darf keinen Erfolg haben in Berlin. Die Wiedereinführung des konfessionsgebundenen Religionsunterricht in Berlin wäre ein fataler Schritt rückwärts ins unverständige Nebeneinander der Menschen.
Es war und ist völlig richtig, dass Kinder in der Schule über Religion, Glaube, Ethik, Moral unterrichtet werden. Und natürlich sahen die Lehrpläne des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen schon bisher vor, die Kinder über anderen Glauben zu unterrichten. Aber: was haben wir davon, die Kinder nach Religion und Konfession getrennt zu unterrichten? Ich sage: Nichts. Unabhängig davon, dass der Lehrplan des Berliner Ethikunterrichts wahrscheinlich nicht optimal ist und kritische Begutachtung sowie gegebenenfalls Verbesserungen passieren müssen. Die meisten mir wichtigen Argumente direkt zum Berliner Glaubenspolitikum finden sich bereits bei Miss Sophie hier, hier und hier sowie in den dazugehörigen Kommentaren und Verlinkungen. Weiterführend unbedingt interessant ist Pro Ethik. Bei mir nur ein paar zusätzliche Punkte:

Pro Reli argumentiert unter anderem damit, dass Pflichtethik für alle Bevormundung durch den Staat ist, und wir uns das nicht gefallen lassen sollen. Das ist populistischer Schwachsinn. Denn: Schule ist immer Bevormundung durch den Staat. Und es ist die objektivere und kontrollierbarere Bevormundung als die durch Eltern oder Geistliche. Deshalb gibt es ja staatliche Kontrolle im Bildungswesen. Das ist guter Teil demokratisch organisierter staatlicher Fürsorge. Und überhaupt: Die großen Kirchen in Deutschland nutzen den Vormund Staat ja sehr sehr gerne, wenn es darum geht, für sie die Kohle einzutreiben. Stichwort: Kirchensteuer.

Religionsunterricht nach Glaubensbekenntnis an der Schule gibt es doch nur für die, die eigene Klassengrößen zusammenbekommen und deren Religionsgemeinschaften hierarchisch genug organsisiert sind, dass sie sich auf einen Religionslehrplan mit dem Staat einigen können. Also realistischerweise für Katholiken und die landeskrichlich organisierten Protestanten. Was machen derweil Moslems (oder zumindest die vielen Unterströmungen), Juden, Buddhisten, Hindus, christliche Freikrichler? Für die bleibt der Ethikzwang? Oder dürfen die dann fernab von staatlicher Kontrolle in Hinterzimmern Religionsunterricht während der offiziellen Schulzeit erhalten? DIe Folgen möchte ich mir bei manch einer Ausrichtung des jeweiligen Glaubens besser nicht ausmalen.

Von wegen staatlicher Kontrolle des Religionsunterrichts. Solange die Kirchen insofern auf die Lehrerauswahl Einfluss nehmen können, dass sie deren Ausbilder, Theologen an staatlichen Hochschulen, bei Mißliebigkeit absägen oder am liebsten Religionslehrer einstellen lassen, die ein kirchentreues Leben (keine wilden Ehen, keine Mischehen usw.) führen, solange weiß ich nicht, wer wen kontrolliert.

Sowieso: Solange Religionsgemeinschaften Grundbekenntnisse unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft nicht anerkennen und beispielsweise Homosexualität verteufeln, Frauenrechte in Frage stellen oder gar Holocaustleugner rehabilitieren oder für sich sprechen lassen,solange haben die meiner Meinung nach vielleicht mit staatlicher Überwachung zu rechnen und nicht mit Mitsprache am staatlichen Erziehungssystem.

Zum Schluss noch was zum Thema Redlichkeit: Der Herr Kardinal hat seine katholischen Schäfchen hier in der preussischen Diaspora per Brief aufgefordert, Pro Reli zu unterstützen. Edles Papier, Farbdruck mit Bildsche. Das kostet Geld. Sicher ein paar hundertausend Euro. Vor einigen Jahren noch war das katholische Erzbistum Berlin aber so klamm, dass sich der Herr Kardinal, ebenfalls per Brief, nicht zu schade war, bei seinen Schäfchen um extra Opfer abseits des Klingelbeutels zu betteln. Pleite, aber wenn wir Kulturkampf spielen können, die Kohle rausblasen für Hochglanzpropaganda. Da stimmem die Verhältnisse nicht.

Lasst die Kinder wenigstens in dieser Stadt gemeinsam und übereinander lernen. Weltanschauliche Trennungen gehören überwunden, nicht zementiert.

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  1. 23.03.2009 - No Reli - Graubrot
  2. 21.04.2009 - Neue Schäubles braucht das Land. Blogschau (4/III)
  3. 26.05.2009 - Pro-Reli-Gefühle : Blog Freies Neukölln

4 Kommentare

  1. Word, Herr Grau.
    Ich habe auch so einen feschen Schrieb vom Kardinal bekommen, der mich nur wieder in meine “Grias Eana Gott, Herr Kaplan”-Grundschulzeit zurückversetzt hat. Ich weiß auch noch, wie die versammelt Familie panisch hundert Schafe gemalt hat, weil so ein radikaler Priesterkandidat meiner Schwester gedroht hatte,er würde nachzählen und wehe, seine Schäfchen haben die Geschichte vom verlorenen Schaf nicht adäquat in Szene gesetzt: Dann setzt es was, nämlich “Setzen, sechs.”
    Das prägt, das bringt einen auf die ContraReli-Barrikaden. Da finde ich es gut, dass Du und die Miss Sophie so schön aufklären, mein Blick ist etwas weihrauchschwadenvernebelt.

  2. Für mich immer wieder schräg bei dem Thema ist, dass meine Sozialisation im Schoße von Mutter Kirche dank einer weltoffenen Gemeinde samt ebensolchem Priester (und Weihrauch) eigentlich positiv ist. Solche Nummern wie bei Eurem Kaplan gab’s bei uns nur bei den Lutheranern, die waren echt reaktionär. So mit Kopftuch für Frauen, Karnevalsverbot und natürlich gegen Abtreibung und gschlamperte Verhältnisse. Ein freudloses Dasein im Pietismus eben.
    Deshalb auch zur Ergänzung: So sehr mir der Herr Kardinal auf die Nerven geht und so sehr ich den obersten Stellvertreter des Herrn auf Erden unerträglich finde, das hier ist keine Brandrede nur gegen die Papisten. Die anderen können vergleichbares. Und es ist auch keine Brandrede gegen Religion an sich. Ich kann da zwar kaum noch was mit anfangen, aber da gibt es schon sehr gute Seiten dran. Aber ihr Einfluss auf den Staat und seine Aufgaben muss nicht groß sein. Gar nicht.

  3. ivo: so einen unterricht fände ich gut. den harmonsichen konsensualen weg dorthin, den du da beschreibst, den sehe ich nicht. aber wir sprechen uns in der zukunft. ;-)

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