respekt

samstagnachmittag an der supermarktkasse. hinter mir eine autochthone berlinerin um die 60. hinter ihr zwei frühpubertäre jungs mit migrationshintergrund, sporttaschen, chips und limo. einer von den beiden drängelt an die dame hin, um seinen einkauf aufs laufband zu bekommen. sein kumpel pfeift ihn zurück: “ey, lass das und zeig doch mal ein bisschen respekt!” die dame dreht sich um zu den jungs und sagt: “weißt du überhaupt was respekt ist? du hast das gerade ganz schön verwendet. toll! ich hätte das von einem wie dir nicht gedacht.”
das gegenteil von gut gemeint…

unfassbar?

als nun wegen tim k. wieder alle ganz entsetzt waren über die schlimmen zustände an den schulen und weil da so viel gemobbt wird und so viel gewalt herrscht, da hat es natürlich keinen interessiert, dass das statistisch blödsinn ist,weil die zahlen für derlei dinge rückläufig sind.
die erwachsenen haben in den vergangenen tagen im fernsehen und in der zeitung mal wieder gern so getan, als hätten sie in ihrer schulzeit so etwas nicht erlebt.

ich bin wohl auch ein erwachsener. nur: zu meiner schulzeit gab es mobbing. dauernd. täglich. war ganz normal, damals in den 90ern. wir „intelektuellen“ aus der Theater-AG haben uns offen über die loser mit den viererzeugnissen lustig gemacht. insofern die muckis hatten, haben wir verkopften entsprechend beim sport gelitten. in der grundschule war ich eher schüchtern. einige meiner klassenkameraden, die bescheid wussten über die strengen regeln meiner mutter bezüglich heimkehruhrzeiten, machten sich einen spaß daraus, mich nach gemeinsam verbrachten nachmittagen nicht gehen zu lassen. in der unterstufe auf dem gymnasium hatten wir dann einen klassendepp, den wir aus spaß zum klassensprecher gewählt haben, um ihn dann bei der amtsausübung zu verhöhnen. nach der schule haben wir ihm sein fahrrad kaputt gemacht, den ranzen weggenommen und so fort. den klassendepp der mittelstufe haben wir nie auf unsere partys eingeladen und das dadurch demonstriert, dass an den haustüren der jeweiligen feierlocation “wir müssen draussen bleiben”-schilder mit seinem photo hingen. andererseits haben wir ihn überredet, dass er für uns partys gibt. und dann haben wir die stereoanlage seines vaters unter wasser gestzt. weil es ging.

und auf die fresse gab’s auch. nicht täglich, aber regelmäßig. ich zum beispiel wurde von der griechengang aus dem nachbarort gepiesakt, weil ich für deren geschmack eine zu große fresse hatte. ich habe mich aufgrund massiver unsportlichkeit selten geprügelt, es dabei aber einmal doch geschafft, einem mitschüler so eine zu zimmern, dass er grenzwertig lange keine luft mehr bekam.
aber das ging härter: es gab eine skinheadgang bei uns, die skater blutig geschlagen haben, wenn man sich traf. einem haben sie das gebiss entfernt durch auflegen des kopfes auf den bordstein und folgendes nachtreten. die söhne von einem unserer lehrer haben katzen aus der nachbarschaft angezündet. springmesser hatten wir mit 14, 15 fast alle. wurfsterne und schlagringe waren etwas weniger verbreitet, aber da.
apropos lehrer. natürlich gab es engagierte lehrer. und graue mäuse. aber auch opfer. meine klassenlehrerin in der dritten klasse musste uns mehrmals mit heulkrampf verlassen, weil wir sie fertig gemacht haben. die siebtklässer damals hatten die gleichen ziele wie wir, nur andere mittel. sie haben sabotageakte an ihrem auto vollführt. doch ein nicht ganz kleiner teil unserer lehrer waren arschlöcher, zyniker und sadisten. du wurden von sogenannten pädagogen schüler an den ohren gezogen, in den hintern getreten, öffentlich verhöhnt, in mülleimer an der klassentür gesetzt, von der schule gemobbt.
ich berichte hier passend zu tims amoklauf anekdoten aus einer jugend im wohlhabenden stuttgarter umland…

das ist nicht cool oder witzig. das ist ganz große scheiße. scheiße namens schule. und ich wäre der letzte, der sich beschweren dürfte. ich hatte immer top-noten, durfte mich in den verrücktesten ags verwirklichen, galt allermeist als vorzeigeschüler (streber) mit sozialem engagement und hatte überdurchschnittlich oft die engagierten lehrer unserer schule im unterricht. dennoch habe ich als langwierigstes erbe der schulzeit neben dem tollen abizeugnis einen alptraum mitgenommen. vor prüfungssituationen träume ich noch jahre nach dem letzten schultag, dass ich bei einer englischklassenarbeit versage. und wenn das schon mir so geht…
da auch viele schulgeschichten meiner eltern und deren geschwister von mobbing und keilerei berichten, habe ich so eine idee:
schule ist psychoterror für fast alle. nicht nur rütli in neukölln. auch gymnasium in der schwäbsichen kleinstadt. sicher ein anderer terror, aber terror. schule als terror in einer lebensphase in der sich alles vom kopf auf die füße stellt und umgekehrt, in der pubertären zeit der verunsicherungen und des sich selbst suchens ist potentierter psychoterror. schule, so wie sie ist, geht eigentlich gar nicht.
aber solange die erwachsenen so tun, als hätten sie keine ahnung, was in der schule abgeht, wenn sie also verdrängen, wie es bei ihnen war und deshalb ignorieren, was ihre kinder durchmachen, solange wird sich da nichts ändern. und solange fördern erwachsene die kluft zwischen sich und den kids. wir brauchen andere schulen. aber solange es keine anderen erwachsenen gibt, werden wir sie noch nicht mal denken können.

das unverstandensein, dass aus der ignoranz der elterngeneration herrührt, ist zu einem gewissen grad vielleicht sogar notwendig für die pubertät. aber in der geballten form des “ich wusste doch gar nicht, wie schlimm das ist” ist sie nährboden für gefährliche jugendliche parallelwelten. und auch die parallelwelten der kids wurden wie gerade frisch entdeckte planeten in den medien präsentiert in den vergangenen tagen. da gibt es ja jede menge amokläuferfans, wo doch die tat so unfassbar ist.
ist sie das?
die tat selbst kann ich auch nicht nachvollziehen. die phantasie und die ihr verwandte verehrung des täters aber schon (zumindest solange ich an den täter und nicht an seine opfer denke). von den erwachsenen offensichtlich unverstanden (siehe u.a. oben) seinen platz finden in einer gesellschaft, deren regeln man noch nicht versteht, die hart sind und oft ungerecht erscheinen oder sind, das kann schon überfordern und einem ein ohnmachtsgefühl bereiten.
ich reagiere auf überforderung und ohnmachtsgefühle bis heute mit gewaltphantasien. liegt wohl an meiner jähzornigen ader. am dienstag beispielsweise qualmten so ein paar dumpfbacken die s-bahn voll, pöbelten und rotzen rum. für vernunftargumente gegen ihr handeln waren sie zu viele, zu aufgekratzt und zu besoffen. sowas kotzt mich an. so jemand will ich in diesem moment heimzahlen, dass er mich mit seinem verhalten quält. dann malte ich mir aus, wie ich ihnen mit den stiefeln ins gesicht springe. mit all seinen folgen. ich kann oft nicht anders in solchen momenten.
solche momente gibt es jede menge inder pubertät. jugendliche werden ständig überfordert, gereizt, in ihren bedürfnissen ignoriert usw. weil keine zeit für sie ist, weil sie in ihrer adoleszenten explosivität nicht in normen passen, weil sie sich selbst und sich gegenseitig in die quere kommen, … und in der überforderung neigt man dann zur pauschalisierung. ich gegen die gesellschaft. und weil ich mich nicht traue, feier ich den vermeindlich mutigen, in den sich dank seiner selbsttötung auch alles hineinprojizieren kann. der wehrt sich ja nicht gegen die vereinnahmung durch andere gefühlte außenseiter.
ich habe allerdings ausreichend erziehung, vernunftbegabung, verantwortung gegenüber frau und kind, also irgendwie reife, dass ich meine phantasien und den sie begründenden ärger aushalte und nicht in handlung umwandle. ich bin aber auch keine 17 mehr. und mit 17 kam ich nicht an schusswaffen. wobei ich für mich glaube, dass ich auch damals schon zusätzlich zu harmoniesüchtig war, als das ich je hätte so durchticken könnn. unterm strich war und bin ich wohl “gefestigt” genug, um nicht amokzulaufen.
und so geht es der ganz großen mehrheit. aber ist die ganz große mehrheit auch gedanklich wirklich so weit weg von tim k., wie es den anschein haben kann zur zeit? seid ihr alle da draußen so friedliche menschen? hattet ihr in eurer jugend nie identitätskrisen und das diffuse gefühl, ihr steht irgendwie gegen die eltern, lehrer, masse, gesellschaft, welt?
ehrlich: ich hoffe ihr kennt diese emotionen. denn wer ausgrenzung, überforderung und ohnmacht plus konstruktive gegenstrategien kennt, kann hoffentlich denen ein vorbild sein, die noch nach gegenstrategien suchen.

nachtrag (15.03. 23:53):
drei beiträge, die (so lese ich sie zumindest) von ähnlichen dingen handeln und dabei wichtige differenzierungen oder ergänzungen bieten:
http://www.julieparadise.de/2009/03/15/madchenkoma/
http://amidelanuit.wordpress.com/2009/03/14/und-jetzt/ (via)
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/03/15/die-verantwortung-der-presse/

ich habe vor drei stunden mal versucht, zusammenfassend auf die weit über hundert reaktionen in den kommentaren und auf den verschiedensten blogs zu reagieren: hier

ansonsten glaube ich, dass es “beste” oder “wichtigste” texte immer nur für jede(n) einzelnen selbst geben kann.

Spring in der Stadt

Die ersten Tage, die so etwas wie frühlingshaft sein könnten, schaffen es ja regelmäßig, dass alle alle wieder aus ihren Löchern kommen und die meisten etwas netter schauen als in den Wochen und Monaten zuvor..

Gestern habe ich die erste arme Sau aus einer Drückerkolonne an der Wohnungstür abgewiesen. Den Winter über war Ruhe. Er war cooler als ich. “Jetz schaunse doch nich so schlecht jelaunt, der Herr, ick mach ihnen ja nüscht.”
Heute saßen am Gendarmenmarkt schon welche fürs Feierabendbier draußen. Ohne Heizdecke und sicher kälter als die Obachlosen, die seit zwei Tagen auf dem riesigen Abluftgitter auf meinem Heimweg sich die Hintern warm sitzen und eine gemütliche Party feiern.
Am Hauptbahnhof eine Clique Mädchen in Sommeroutfits gesehen. Sie nicht auf die Gefahr der Blasenentzündung hingewiesen.
Aber am besten fand ich den Freak, der am U-Bahnhof Friedrichstraße das Mikro in seiner Gewalt hatte und wirres Zeug laberte, statt das übliche “Einsteigen bitte - Zurückbleiben bitte”

Ich jedenfalls hab mich gefreut. Weiß nicht, ob ihr das nachvollziehen könnt.

DISCO! DeeJay! Graffiti! LEGO!!!

Jaja, ich bin nicht der Typ mit dem Tigerfell und der Pornobeleuchtung in der Wohnung und vielleicht ist das alles auch schon aaaaalt. Aber:

Brickfilme, die ich noch nicht kannte und für alle was bieten. Zeitmaschine und Goethe. Oder eben DISCO! DeeJay! Graffiti! LEGO!!!:


DirektDiscoDeeJayGraffitiLego

Entdeckt auf Empfehlung meines Bruders. Gemacht von diesen Menschen. I like it.

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