Das Outro als Intro
Die re:publica-Abschlussfeier und Sascha Lobos Followerparty habe ich so intensiv mitgemacht, dass ich am Wochenende re:generieren musste. Montag und gestern hätte ich nur abends Zeit gehabt fürs Resümee. Was ich an Montag gemacht habe, ist aus dem vor diesem Post veröffentlichten Zeug ersichtlich. Gestern bin ich wie ein alter Mann auf dem Sofa eingeschlafen. Solche Feiern wie auf der re:publica stecke ich einfach nicht mehr einfach weg. Aber ich liebe sie. Ich brauche solche positiven Heterotopien. Danke Euch allen, Gastgeber und Mitmirfeiernde!
Die soziale re:publica
Ich pöbel per Twitter ins Netz, ob mir jemand zur re:publica meine neuen Lieblingspralinen aus der Schweiz mitbringt. Kcu schlägt mir vor, Peter Hogenkamp zu fragen. Ich folge dem erstmal auf Twitter, spare mir die Frage. Er bietet mir ungefragt an, das Zeug zu besorgen. Als Gegennaturalie lade ich ihn zur Currywurst ein. Er bringt neben den extrem leckeren Pralinen zwei Mitarbeiter zur Wurstbude mit. Kurz: Ich habe virtuell und unpersönlich rungeschnorrt und am Ende lerne ich drei sympathische Jungs kennen. Mit einem davon, Moritz, führe ich später noch ausdauernd gute Gespräche.
Die re:publica ist DER Ort, an dem virtuelle Kontakte real werden (ich habe keine Erfahrung mit Online-Partner(tausch)börsen). Und das gerade war nur ein Beispiel aus einigen schönen Neukontakten. Ein Beispiel, wie schnell und unkompliziert sich Menschen neu kennen lernen können. Über normalerweise bestehende Grenzen wie Ort, Alter, Job etc. hinweg, by the way.
Die re:publica vernetzt.
Und im Vergleich zu anderen mir bekannten Konferenzen ist hier Netzwerken nicht nur geschäftsorientiert. Ich habe durchs Bloggen und durch die ersten zwei re:publicas liebe Freunde und Bekannte, die aus ganz Deutschland kommen. Wir sehen uns (selbst der Berliner Teil der Runde) unter den Monaten nicht mal einfach auf ein Bier. Hier aber ist ein Termin und ein Ort, der uns zusammenführt. Das ist schön. Ich <3 euch nämlich. Wie wichtig das Netz für die reale Kontaktpflege ist, hat Jan sehr anschaulich vorgetragen (und dazu noch ein paar andere gute Vorschläge). Die re:publica ginge also am Netz vorbei, wäre sie kein Klassentreffen.
Aber dafür bräuchte es kein Konferenzprogramm.
Die politische re:publica
Ich habe aber auch einiges gelernt dank dieses Programms. Als Jakob Augstein vom Freitag auf dem Panel zum Wandel der Medien sinngemäß sagte, dass Blogs journalistisch nicht relevant sind, weil die Journalisten, die politischen Einfluß haben, diejenigen sind, die von den Politikern ernst genommen werden, und dass das alles Printjournalisten sind, wurde (nicht nur) mir klar: Es ist egal, wie politisch die Blogs ind Deutschland sind, solange sie sich kein Gehör bei der Politik verschaffen. Und das geht nicht nur mit ins eigene Blog pupsen. Das geht nur wenn Blogger neben dem Bloggen weitere politische Aktionen machen. Sei es, einen Brief an die Familienministerin zu schreiben.
Sei es, um in den Kämpfen um Kopierschutz und Urheberrecht nicht nur für uns selbst zu schreiben, sondern auch zu agieren. Lawrence Lessig hat rhetorisch brilliant die Notwendigkeit aufgezeigt, dass wir auf diesem Feld tätig werden müssen, wenn wir moderne Kulturtechniken des Netzes (Stichworte: Remix und Kommentar) nicht weiter kriminalisieren wollen.
Aber hey, für legale Video-Remixe auf Youtube kämpfen, ist das wichtig? Ist das nicht furchtbar popkuluturell und unpolitisch? Nein, ist es nicht.
Es ist ein Legalisierungskampf für genau die Kulturtechniken, mit denen junge Menschen im Nahen Osten im klassischen Sinne Aufklärung betreiben und Portest gegen die dortigen Regime organisieren. Esra von mideastyouth.com hat eindrücklich beschrieben, dass für sie und ihre Freunde/Kollegen ins Internet schreiben der Kampf für Freiheit, Menschenrechte, Frieden zwischen den Religionen (für viele unglaublich, aber: Muslime(!) reden im Web als Freunde mit Juden(!) und anderen Andersgläubigen) und letztlich der Kampf ums pure Leben ist. Das ist hochbrisant und allemal existenzieller als die Copyright-Wars der westlichen Webhemisphäre.
Doch im Mittleren Osten führen sie ihren Kampf eben mit globalisierten Techniken der Popkultur und meist übrigens auf Webseiten, die im “Westen” gehostet werden. Selbst wenn wir das Netz nicht gleich zur Weltrevolution nutzen und nur für so soften Blödsinn wie Video-Remixe kämpfen, können wir damit anderen in existentielleren Fragen eine Unterstützung sein. Aber wir müssen mehr tun als politisch bloggen. wir müssen als Blogger Politik machen.
Es mag banal klingen und wahrscheinlich wussten das alle anderen schon vor der re:publica09, aber ich habe das dort gelernt.
Die wissenschaftliche re:publica
Die Urheberrecht-Debatte, die ich oben schon anschnitt, tobt ja nicht nur bezüglich illegaler MP3-Downloads oder Youtube. Gerade im Wissenschaftsbetrieb wird dank Open Access heiß und kontrovers darüber diskutiert. Und gern wird die freie, unendlich kopierbare Kopierbarkeit von Wissen im Netz als gefährlich und kulturzersetzend dargestellt. Dass diese Kopierbarkeit und Freiheit von Wissen aber jahrhundertelang wunderbar funktionierte, bis durch den Buchdruck mit beweglichen Lettern (und dem damit entstehenden Wirtschaftszweig des Verlagswesens) einerseits fixierte und damit nachprüfbare Information breiteren Massen zugänglich wurde, andererseits eben die Verbreitung dieser Information durch die Verlage zu deren (und meist nur zu deren, nicht aber des Urhebers) Vorteil sanktioniert wurde, das ist mir erst durch Sabria Davids Vortrag “Märchen als User Generated Content” klar geworden (auch wenn Lawrence Lessig diesen Aspekt der nicht-elitären oralen Kulturvermittlung schon ca. 21 Stunden früher ansprach, hier bei Sabria ist bei mir der Groschen gefallen). Genauso wie die damit verbundene Erkenntnis, dass diese Sanktionierung kulturgeschichtlich mit ihren ca. 500 Jahren verdammt jung ist. Es gab vor dem Urheberrecht Kultur und es wird sie danach geben.
Dank der re:publica09 habe ich einen Zusammenhang zwischen meinem (historisch orientierten) Studium und meinem (hypermodernen) Hobby gefunden. Und Argumente für die Diskussion zu diesem Thema im wissenschaftlichen Diskurs.
Die weibliche re:publica
Aus dem Augenwinkel überblickt waren noch mehr Frauen auf der Konferenz als in den Jahren zuvor. Und ich muss das wissen. Ich finde das gut. Weil ins Internetschreiben was für Menschen ist und nicht nur für Männer. Und auch wenn es dazu dieses Jahr noch keine Veranstaltungen gab, vielleicht ist diese gefühlte Entmännlichung der Weg hin zu künftigen Panels über zeitgemäße Genderfragen. Wo, wenn nicht im Netz verschwimmen Geschlechterbilder und -rollen? Wieso nutzen wir dieses Verschwimmen nicht, um fürs Real Life die Heteronormativität einwenig zu dekonstruieren?
Womit wir bei der Zukunft wären:
Wünsche für die re:publica10
Nochmal bei Männlein und Weiblein: Wenn die sich lieb haben, entstehen Kinder. Kinder und Interntaktivität müssen vereinbart sein. Kinderbetreuung während der re:publica wär toll.
Wo wir bei Kindern sind: Dieses Mal waren “Muttiblogs” Thema für den virtuellen Geschlechterkampf. Ich würde gerne mal über den Datenschutzaspekt beim Übers-Kind-ins-Interweb-schreiben reden. Wieviel Schutz der Privatsphäre brauchen Kinder vor ihren bloggenden Eltern? Dieses Panel melde ich hiermit schonmal an fürs nächste Jahr.
Was ganz anderes: Von Anfang an W-Lan nur in Arbeitsräumen, nicht aber bei den Keynotes und Panels. Diese Internetlosigkeit auf der Internetkonferenz war zwar aufgrund ihrer Ungewolltheit ungeheuer nervig, aber eigentlich toll. Die Menschen bekommen so echten Kontakt (vgl. die soziale re:publica).
So beta ein shift-happens-Programm auch sein mag, etwas mehr Sorgfallt für das online-Programm wäre echt schön. Beim gedruckten Programm ging’s doch auch.
Fazit gegen mein Vorurteil
Ich fand das Programm im Vorfeld langweilig. Zu viele Wiederholungen aus den letzten beiden Jahren. Ich fand die Ausweitung auf den Friedrichstadtpalast doof. Ich habe bis zum Schluss nicht verstanden, warum im Online-Programm kein Abschlusspanel stand. Am Anfang hat mich das fehlende W-Lan tierisch genervt. Bis Freitagfrüh dachte ich, dank der mir selbst eingebrockten Twitterlesung würde ich von der Konferenz nix mitbekommen. Nach dem Märchenpanel, spätestens aber bei den Gesprächen auf den freitagnächtlichen Partys habe ich gesehen, wie viel mir diese drei Tage doch wieder gegeben haben. Danke, re:publica. Du bist ein tolles Ding. Ich habe oben versucht, das warum zusammenzufassen. Und habe doch noch so viel vergessen (Denkt nur mal an Folofel!).
Ich hab’s auch gerade erst geschafft, etwas mehr dazu zu schreiben. Zwee Doofe, een Jedanke! ;-)
Lustigerweise sind es gerade die Mütter, die ganz froh darüber sind, dass es keine Kinderbetreuung gibt - so bleibt der oder die Kleine bei Papi zuhause und Mami kann mal einen ruhigen Tag haben ;-)
@Björn: Die Idee, in den Vortragsräumen (oder zumindest bei den Keynotes im Friedrichstadtpalast) auf WLAN zu verzichten, finde ich grundsätzlich sympathisch.
Leider ist sie unrealistisch. Technisch inbesondere im Bereich der Kalkscheune, vor allem aber, weil doch jetzt schon jeder Dritte ein Gadget dabei hat, dass dann via Mobilfunk ins Netz geht (Halleluja Elektrosmog ,). D.h. die Unbelehrbaren wird’s nicht kümmern, die vielleicht nicht ganz so begüterten Besucher hingegen müssen aus ökonomischen Gründen verzichten. Das kann’s auch nicht sein.
Ich habe eine andere Idee. Zugegen, sie ist kühn, aber: Sollten wir nicht besser auf Vernunft setzen? Und auf so Dinge wie fesselnde Vorträge und das Abenteuer fremde Menschen einfach mal so kennenzulernen? Ohne Netz und doppelten Boden? Und wenn’s am Ende eine Utopie bleibt … hee, wieder was gelernt!