Aufpassen

Take Care

(Was Vierjährige eben so vor dem Einschlafen diskutieren wollen.)

Papa, wer ist Gott?

Viele Menschen glauben, dass es einen Gott gibt, der auf uns alle aufpasst.

Was glauben wir?

Was glaubst Du? Gibt es einen Gott?

Nein.

Und wer passt dann auf?

Na, Mama und Du.

——————-
Bild “Take Care” von tomthejet, Lizenz: cc-by-nc-sa 2.0

Die Weihnachtsgeschichte von R.

R. hatte gerade eine Berufsausbildung abgeschlossen damals Zuhause. Dann änderte sich dort das System. Bald war Krieg. R. verfolgt das bis heute. Trauma sagen die Ärzte. R. hat später hier eine Frau kennengelernt und nach ein paar Jahren kam ein Kind. Er hat alles getan für dieses Kind. Außer ihm Grenzen zu setzen. Stundenlang hat er mit dem Kind gespielt, am Tag und in der Nacht. Oft hab ich ihn draußen am Spielplatz gesehen, wie er geduldig das Kind auf der Schaukel geschaukelt hat. Im vorletzten Sommer wurde R eingebürgert. Er wollte das, auch um endlich Arbeit zu finden. Da war das zweite Kind schon unterwegs. Und als es da war, hat R. noch mehr als sonst den Haushalt geschmissen, sich um das große Kind gekümmert, das kleine im Wagen herumgefahren.

Dann war Weihnachten. Und Schnaps. Und dann schlägt er auf seine Frau ein. Sie holt die Polizei. Sie zeigt ihn an. Auch für zwei andere Male aus den Wochen zuvor, bei denen sie die Polizei nicht gerufen hatte. Er bestreitet diese andere Male. Sie zieht mit den Kindern weg in eine andere Stadt. R. darf den Kontakt zu ihr nicht suchen. Er versucht, sich umzubringen, hat aber Schiss davor. Das Jahr wechselt. Er will seine Kinder wieder sehen. Er geht zur Therapie. Er hört mit dem Saufen auf. Konsequent. Kontrolliert durch den Amtsarzt. Er will seine Kinder wiedersehen. Die Anwältin seiner Frau hat Bedenken. Das Jugendamt hat Bedenken. Er kämpft um die Kinder. Er verbockt ein Vorstellungsgespräch. Manchmal geht er bei einem Freund im Laden aushelfen. Meist sitzt er dort nur herum. Wie in der Wohnung, die er penibel sauber hält. Wenn er nicht zur Therapie oder zu den Anwälten geht, um für ein Treffen mit den Kindern zu kämpfen.

Im Herbst darf er für eine halbe Stunde in der fremden Stadt, wo seine Frau mit den Kindern lebt, im Jugendamt unter Aufsicht eines Jugendamtmitarbeiters seine Kinder sehen. Das große Kind freut sich, fasst schnell Vertrauen. Das kleine Kind kann mittlerweile laufen und plappern. Sie spielen 20 Minuten zu dritt. R. hat ein Video davon. R. strahlt seit 10 Monaten zum ersten Mal wieder.

R. muss sich vor Gericht für seine Gewalttätigkeit verantworten. Er gesteht, bittet wiederholt um Entschuldigung und bekommt eine Bewährungsstrafe. In Absprache mit seinem Anwalt bietet er ein symbolisches Schmerzensgeld an. Das Gericht lobt seine Besserungsbemühungen.
Vor wenigen Tagen wird R. mitgeteilt, dass das zweite Treffen mit seinen Kindern abgesagt wurde. Ein Arzt der Frau hatte im Sommer, als sie in einer Reha-Maßnahme war, den Eindruck, dass das große Kind Scheu vor Männern habe. Und nach dem Vater-Kind-Treffen im Herbst hatte es schlecht geträumt. Vielleicht hat es ein Trauma durch den Vater, meinen seine Frau und das Jugendamt.
R. verbringt Weihnachten allein.

Von Adventskalendern, Bands, Pferden, Beerdigungen und Möhren

Eigentlich poste ich hier und jetzt nur ein Video von einem Lied, das ich mag. Aber wie es dazu kam, will ich euch zuvor nicht vorenthalten.

Der Phil hat den Delphin mit einem Video gehauen, weil der wahre Björn in seinem Blog nach langer Pause (kenn ich irgendwoher, das Phänomen) mal wieder was raushaut, nämlich einen Adventskalender, in dem hinter dem fünften Türchen tolle Musikvideos waren, unter anderem auch eins, wie Band of Horses “Funeral” intonieren, was eben den Phil an sein Video erinnerte.
Mich erinnerte der Titel “Funeral” an mein aktuelles Lieblingslied “P.S., You Rock My World” von Eels, welches wie folgt beginnt: I was at a funeral the day I realised, I wanted to spend my life with you.
Schön, nicht?

Jetzt fand ich im Web von diesem meinem aktuellen Lieblingslied leider kein Video, das meinen Wünschen bezüglich Tonqualität und Bildfolgenspannung entsprach, weshalb ich es hier nicht einbetten wollte.
Allerdings gibt es das wundervolle Video von “Last Stop: This Town” (auch Eels), das mich damals zum Eels-Freund machte und auch entfernt mit Beerdigungen zu tun hat, beginnt es doch mit: “You’re dead but the world keeps spinning.”


(Direktletzterhalt)

Sommer 1994, Part One

Sie war die Freundin einer Bekannten einer Freundin. Wir trafen uns in dieser Diskothek, deren DJ “500 Miles” von den Proclaimers für Indiemusik hielt und deren Türsteher uns wegen Kiffens rausschmeissen wollte, wo wir doch nur indonesische Nelkenzigaretten rauchten.
Sie war gerade aus Australien zurück und dort mit echten Surferboys zusammengewesen. Sie war drei Ligen zu hoch für mich. Wir hingen die ganze Nacht zusammen, ich merkte dennoch erst auf der Heimfahrt, wie toll ich sie fand.
Die Freundin der Bekannten organisierte weitere Treffen, wir blieben im Gespräch. Irgendwann tauschten wir Telefonnummern. In einem Moment totaler Traurigkeit fanden sich Wochen später unsere Hände, Lippen.
Sie nahm mich mit im Ascona ihrer Mutter, wir ließen uns treiben, ich fühlte mich unheimlich frei, wenn wir nachts ins Freibad einbrachen oder irgendwo im Nirgendwo auf einem Parkplatz unter offenem Himmel schliefen. Ich und das tollste Hippiemädchen unserer kleinen Stadt.
Dann fuhr sie nach Paris und schickte mir eine Karte. “Dir würde es hier gefallen”, schrieb sie. Und liebe Grüße von der Bekannten der Freundin.
Dann fuhr ich nach Finnland. Ich las traurige Bücher, schlug mir den Schweiß von der Haut in holzbefeuerten Saunen und schwamm träumend durch die Seen. Am liebsten Nachts. Und ich dachte an sie, an ihre schönen grünen Augen mit dem braunen Fleck darin und das Freibad zuhause und wie wir nackt durch den ruhenden Ströungskanal schwebten und ich hörte fortwährend dieses eine Lied.

Als ich zurückkam, machte sie Schluss.

Flipping Out

Es war einer der für mich bewegendsten und erhellendsten Filme der Berlinale 2008: Flipping Out, die Doku über junge Israelis, die nach dem Militärdienst nach Indien reisen und da nicht immer ganz klarkommen, um es mal zu untertreiben. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Krieg die Kinder eines ganzen Landes frisst.

Bei René habe ich gelesen, dass der Film nun eine Woche lang online bei arte zu finden ist.
Hier habe ich mir ausführlich über den Film Gedanken gemacht.

Incancellabile

Ja, verdammt, ich hab mir Sorgen gemacht. Und dann melde ich mich, weil ich wissen will, wie es geht (ja, ich könnte mich auch so öfter melden) und du gehst ran und im Hintergrund läuft Laura Pausini.

Bei mir

Manchmal fühlt es sich so richtig und gut an, dieses Erwachsensein:

Im letzten Abendlicht im Garten stehen und die Beete gießen.

Wildes Schnüff

Ich habe davon gehört und mich darüber gefreut. Dann habe ich den Trailer (Äonen nach allen anderen) gesehen und musste weinen. Aus Nostalgie und aus Freude. Und weil aus einem der schönsten Bücher (wie oft ich mir das aus der Bücherei ausgeleihen habe, damals…) ein schöner Film geworden sein könnte:


(Direktwild, via Nerdcore)

unfassbar?

als nun wegen tim k. wieder alle ganz entsetzt waren über die schlimmen zustände an den schulen und weil da so viel gemobbt wird und so viel gewalt herrscht, da hat es natürlich keinen interessiert, dass das statistisch blödsinn ist,weil die zahlen für derlei dinge rückläufig sind.
die erwachsenen haben in den vergangenen tagen im fernsehen und in der zeitung mal wieder gern so getan, als hätten sie in ihrer schulzeit so etwas nicht erlebt.

ich bin wohl auch ein erwachsener. nur: zu meiner schulzeit gab es mobbing. dauernd. täglich. war ganz normal, damals in den 90ern. wir „intelektuellen“ aus der Theater-AG haben uns offen über die loser mit den viererzeugnissen lustig gemacht. insofern die muckis hatten, haben wir verkopften entsprechend beim sport gelitten. in der grundschule war ich eher schüchtern. einige meiner klassenkameraden, die bescheid wussten über die strengen regeln meiner mutter bezüglich heimkehruhrzeiten, machten sich einen spaß daraus, mich nach gemeinsam verbrachten nachmittagen nicht gehen zu lassen. in der unterstufe auf dem gymnasium hatten wir dann einen klassendepp, den wir aus spaß zum klassensprecher gewählt haben, um ihn dann bei der amtsausübung zu verhöhnen. nach der schule haben wir ihm sein fahrrad kaputt gemacht, den ranzen weggenommen und so fort. den klassendepp der mittelstufe haben wir nie auf unsere partys eingeladen und das dadurch demonstriert, dass an den haustüren der jeweiligen feierlocation “wir müssen draussen bleiben”-schilder mit seinem photo hingen. andererseits haben wir ihn überredet, dass er für uns partys gibt. und dann haben wir die stereoanlage seines vaters unter wasser gestzt. weil es ging.

und auf die fresse gab’s auch. nicht täglich, aber regelmäßig. ich zum beispiel wurde von der griechengang aus dem nachbarort gepiesakt, weil ich für deren geschmack eine zu große fresse hatte. ich habe mich aufgrund massiver unsportlichkeit selten geprügelt, es dabei aber einmal doch geschafft, einem mitschüler so eine zu zimmern, dass er grenzwertig lange keine luft mehr bekam.
aber das ging härter: es gab eine skinheadgang bei uns, die skater blutig geschlagen haben, wenn man sich traf. einem haben sie das gebiss entfernt durch auflegen des kopfes auf den bordstein und folgendes nachtreten. die söhne von einem unserer lehrer haben katzen aus der nachbarschaft angezündet. springmesser hatten wir mit 14, 15 fast alle. wurfsterne und schlagringe waren etwas weniger verbreitet, aber da.
apropos lehrer. natürlich gab es engagierte lehrer. und graue mäuse. aber auch opfer. meine klassenlehrerin in der dritten klasse musste uns mehrmals mit heulkrampf verlassen, weil wir sie fertig gemacht haben. die siebtklässer damals hatten die gleichen ziele wie wir, nur andere mittel. sie haben sabotageakte an ihrem auto vollführt. doch ein nicht ganz kleiner teil unserer lehrer waren arschlöcher, zyniker und sadisten. du wurden von sogenannten pädagogen schüler an den ohren gezogen, in den hintern getreten, öffentlich verhöhnt, in mülleimer an der klassentür gesetzt, von der schule gemobbt.
ich berichte hier passend zu tims amoklauf anekdoten aus einer jugend im wohlhabenden stuttgarter umland…

das ist nicht cool oder witzig. das ist ganz große scheiße. scheiße namens schule. und ich wäre der letzte, der sich beschweren dürfte. ich hatte immer top-noten, durfte mich in den verrücktesten ags verwirklichen, galt allermeist als vorzeigeschüler (streber) mit sozialem engagement und hatte überdurchschnittlich oft die engagierten lehrer unserer schule im unterricht. dennoch habe ich als langwierigstes erbe der schulzeit neben dem tollen abizeugnis einen alptraum mitgenommen. vor prüfungssituationen träume ich noch jahre nach dem letzten schultag, dass ich bei einer englischklassenarbeit versage. und wenn das schon mir so geht…
da auch viele schulgeschichten meiner eltern und deren geschwister von mobbing und keilerei berichten, habe ich so eine idee:
schule ist psychoterror für fast alle. nicht nur rütli in neukölln. auch gymnasium in der schwäbsichen kleinstadt. sicher ein anderer terror, aber terror. schule als terror in einer lebensphase in der sich alles vom kopf auf die füße stellt und umgekehrt, in der pubertären zeit der verunsicherungen und des sich selbst suchens ist potentierter psychoterror. schule, so wie sie ist, geht eigentlich gar nicht.
aber solange die erwachsenen so tun, als hätten sie keine ahnung, was in der schule abgeht, wenn sie also verdrängen, wie es bei ihnen war und deshalb ignorieren, was ihre kinder durchmachen, solange wird sich da nichts ändern. und solange fördern erwachsene die kluft zwischen sich und den kids. wir brauchen andere schulen. aber solange es keine anderen erwachsenen gibt, werden wir sie noch nicht mal denken können.

das unverstandensein, dass aus der ignoranz der elterngeneration herrührt, ist zu einem gewissen grad vielleicht sogar notwendig für die pubertät. aber in der geballten form des “ich wusste doch gar nicht, wie schlimm das ist” ist sie nährboden für gefährliche jugendliche parallelwelten. und auch die parallelwelten der kids wurden wie gerade frisch entdeckte planeten in den medien präsentiert in den vergangenen tagen. da gibt es ja jede menge amokläuferfans, wo doch die tat so unfassbar ist.
ist sie das?
die tat selbst kann ich auch nicht nachvollziehen. die phantasie und die ihr verwandte verehrung des täters aber schon (zumindest solange ich an den täter und nicht an seine opfer denke). von den erwachsenen offensichtlich unverstanden (siehe u.a. oben) seinen platz finden in einer gesellschaft, deren regeln man noch nicht versteht, die hart sind und oft ungerecht erscheinen oder sind, das kann schon überfordern und einem ein ohnmachtsgefühl bereiten.
ich reagiere auf überforderung und ohnmachtsgefühle bis heute mit gewaltphantasien. liegt wohl an meiner jähzornigen ader. am dienstag beispielsweise qualmten so ein paar dumpfbacken die s-bahn voll, pöbelten und rotzen rum. für vernunftargumente gegen ihr handeln waren sie zu viele, zu aufgekratzt und zu besoffen. sowas kotzt mich an. so jemand will ich in diesem moment heimzahlen, dass er mich mit seinem verhalten quält. dann malte ich mir aus, wie ich ihnen mit den stiefeln ins gesicht springe. mit all seinen folgen. ich kann oft nicht anders in solchen momenten.
solche momente gibt es jede menge inder pubertät. jugendliche werden ständig überfordert, gereizt, in ihren bedürfnissen ignoriert usw. weil keine zeit für sie ist, weil sie in ihrer adoleszenten explosivität nicht in normen passen, weil sie sich selbst und sich gegenseitig in die quere kommen, … und in der überforderung neigt man dann zur pauschalisierung. ich gegen die gesellschaft. und weil ich mich nicht traue, feier ich den vermeindlich mutigen, in den sich dank seiner selbsttötung auch alles hineinprojizieren kann. der wehrt sich ja nicht gegen die vereinnahmung durch andere gefühlte außenseiter.
ich habe allerdings ausreichend erziehung, vernunftbegabung, verantwortung gegenüber frau und kind, also irgendwie reife, dass ich meine phantasien und den sie begründenden ärger aushalte und nicht in handlung umwandle. ich bin aber auch keine 17 mehr. und mit 17 kam ich nicht an schusswaffen. wobei ich für mich glaube, dass ich auch damals schon zusätzlich zu harmoniesüchtig war, als das ich je hätte so durchticken könnn. unterm strich war und bin ich wohl “gefestigt” genug, um nicht amokzulaufen.
und so geht es der ganz großen mehrheit. aber ist die ganz große mehrheit auch gedanklich wirklich so weit weg von tim k., wie es den anschein haben kann zur zeit? seid ihr alle da draußen so friedliche menschen? hattet ihr in eurer jugend nie identitätskrisen und das diffuse gefühl, ihr steht irgendwie gegen die eltern, lehrer, masse, gesellschaft, welt?
ehrlich: ich hoffe ihr kennt diese emotionen. denn wer ausgrenzung, überforderung und ohnmacht plus konstruktive gegenstrategien kennt, kann hoffentlich denen ein vorbild sein, die noch nach gegenstrategien suchen.

nachtrag (15.03. 23:53):
drei beiträge, die (so lese ich sie zumindest) von ähnlichen dingen handeln und dabei wichtige differenzierungen oder ergänzungen bieten:
http://www.julieparadise.de/2009/03/15/madchenkoma/
http://amidelanuit.wordpress.com/2009/03/14/und-jetzt/ (via)
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2009/03/15/die-verantwortung-der-presse/

ich habe vor drei stunden mal versucht, zusammenfassend auf die weit über hundert reaktionen in den kommentaren und auf den verschiedensten blogs zu reagieren: hier

ansonsten glaube ich, dass es “beste” oder “wichtigste” texte immer nur für jede(n) einzelnen selbst geben kann.

Auguste

Auguste

Auguste kam aus der großen Stadt. Was sie in diesem Provinznest genau verloren hatte, ich weiß es nicht. Immerhin war es ein Provinznest mit einer renommierten Universität. Aber studiert hat sie nicht. Wahrscheinlich war sie Gouvernante oder ähnliches in einem Professorenhaushalt. Ich finde, sie sieht stolz aus. Aus gutem Hause.
Ich frage mich, wie es gewesen sein muss. Wie sie den Müllerssohn vom Dorf kennenlernte. Ob er bei ihren Dienstherren verkehrte? Der junge Student. Was eigentlich hat er studiert? Wer hat dem Müllerssohn das Studium ermöglicht? Wie waren sie zusammen. Wenn ich es richtig weiß, hat es lang gedauert, bis ihre Beziehung den offiziellen Status der Ehe erreichte. Wohl weil die beziehungsweise seine wirtschaftlichen Verhältnisse zunächst nichts anderes zuließen. Sind sie „miteinander gegangen“? Was haben sie sich versprochen? Wie sah wohl die Beziehung vor der Ehe aus? Haben sie sich füreinander „aufgehoben“? Warum haben sie solange aufeinander „gewartet“? Soweit ich es sehe, hat sie für ihn die Konfession gewechselt, haben sie zunächst einmal über die Konfessionen hinweg geliebt. Auch keine ganz einfache Sache damals. Was hat die junge Frau aus der großen Stadt an dem Mann aus der Provinz gefunden?

War er Soldat im 1. Weltkrieg? Wie haben sie diese Jahre, den Wechsel vom Kaiserreich zur Monarchie erlebt?
Er wurde Lehrer, sie heiraten. Als der erste Nachwuchs kommt, ist sie über 30,er über 40. Damals war das alt fürs Kinderkriegen. Es werden dennoch drei Kinder. Sie wohnen in einer Kleinstadt, einigermaßen zwischen ihren Geburtsorten und doch damals weit weit weg von beiden Heimaten.

Er hat sich später mit den Nazis angelegt, was ihn seinen eigentlichen Job gekostet hat. Er musste zwar nicht ins Gefängnis oder Schlimmeres, aber sie lebten am Existenzminimum. Wie ging es ihr damit? Wie war sie zu ihren Kindern? Wie war es, den Sohn im Krieg zu wissen? In der Kriegsgefangenschaft der Amerikaner? Wie erlebt sie das Ende des Dritten Reichs? Und die Geburt des ersten Enkels? Wie viele Enkel hat sie erlebt? Ich meine, sie sei kurz vor ihrem Mann irgendwann in den 1960ern gestorben. Aber ich weiß es nicht.

Von ihr habe ich kaum mehr als dieses Portrait. An sie hätte ich viele Fragen.

Pages: 1 2 Next