Ich war ja schon auf einigen Demos. Damals, in den 1990ern gegen Nazis, gegen den Irakkrieg vom alten Bush, für den Frieden, für Jugendhäuser, gegen Kohl. Im neuen Jahrtausend gegen den Irakkrieg des zweiten Bushs, für eine bessere Hochschulpolitik, für Wagenburgen und besetzte Häuser, gegen das System. Zuletzt gegen Vorratsdatenspeicherung und Co.
Die Demo vergangenen Samstag zu diesem Thema hat mir die Sinnfrage zum Demo-Besuch auferlegt. Mir ist es wichtig, mehr Engagement als nur das Kreuz des Wählers zu zeigen. Ich glaube, dass öffentlicher Protest nötig ist und wirksam sein kann. Die Verhinderung des Treffens islamfeindlicher Neorechter vor einigen Wochen zeigt eindrücklich, dass “reclaim the streets” die richtige Forderung sein kann. Aber die gute alte Latsch-Demo, ist die noch das richtige Mittel für Protest?
Natürlich ist es eine beeindruckende Sache und sehr sehr demokratisch, libertär und angstfrei, wenn religiöse Gruppierungen, Berufsverbände, bürgerliche Parteien und linksradikale Strömungen angesichts des gemeinsamen Gegners “Freunde des Überwachungsstaats” sich in ihrem Dagegen verbünden, die Differenzen zu Hause lassen und zusammen protestieren. Aber will ich wirklich mit den Jungliberalen auf einer Demo sein?
Will ich auf einer Demo mitlaufen, bei der eines der größten Transparente Werbung für Youtube verkündet, statt sich den Forderungen der Veranstalter anzuschließen?
Fehlt es mir am Wissen, um die kulturellen Codes der linkspolitisch aktiven Kids zu entziffern, oder waren die pechschwarz angezogenen Teenies in den nagelneuen Markenklamotten und den glattrasierten Schädeln und den markig-machohaften Begrüßungsgesten am Ende gar keine Antifas, sondern echt nur auf Krawall (den es gar nicht gab) aus?
Was bringt eine Latschdemo am Sonntagnachmittag über eine Einkaufsstraße, auf der einen höchstens Touristen wahrnehmen?
Mehr als mediale Aufmerksamkeit (die ja durchaus von Bedeutung ist), kann so was nicht bringen. Wenn dann aber die Demoleitung so, Entschuldigung, saublöd und/oder unerfahren ist, völlig utopische Teilnehmerzahlen herumzuposaunen, dann wird die Gier nach dieser Aufmerksamkeit peinlich. Meine direkten Mitdemonstranten sind meine Zeugen, mir kam die Größe des Demozugs von Anfang an traurig klein vor. Ich kenne das Spiel, dass die Polizei sehr sehr knapp zählt, die Veranstalter aber großzügig aufrunden. Und ich war in den vergangenen mehr als 15 Jahren auf genug Demos, gerade auch in Berlin und dort Unter den Linden, dass ich mir zutraue ungefähr vergleichen zu können. Ich hatte während der Demo gehofft, dass wir über 10.000 sind und war positiv überrascht, als die Polizei von 15.000 Teilnehmern sprach, was wohl heißt, dass es doch ein paar mehr waren. Mehr als 30.000 aber wohl kaum.
Sind das wenige?
Jein, mit einer Tendenz zum Nein. Für eine zentrale, bundesweite Demo zu einem so existentiellen Thema wie Freiheit, Grund- und Bürgerrechte ist ein Fußballstadion voll Leute immer traurig im Vergleich mit beispielsweise den Zuschauerzahlen eben der Bundesliga. Und wenn 30.000 erwartet wurden und höchstens so viele kommen ist das auch nicht berauschend.
Andererseits: Zu einer Demo im Nordosten der Republik am Sonntagnachmittag werden wohl kaum sonderlich viele Berufstätige aus Freiburg oder Garmisch-Partenkirchen anreisen. Der Termin sprach jetzt nicht gerade für überbordenden bundesweite Teilnahme. Und dennoch waren es deutlich mehr als vergangenes Jahr. Und das, obwohl mit Bankenkrise, Börsencrash und Co. gerade andere Themen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung sicher oben stehen. Es wäre also gar nicht nötig gewesen, völlig falsche Zahlen herauszubrüllen (dies ist wohl mittlerweile Konsens, in der Pressemitteilung zur Demo werden keine Teilnehmerzahlen genannt, nur die Länge des Demozuges angegeben).
Ich bin kein pietistischer Protestant und kein altlinker Dogmatiker. Ich erlaube mir, Spaß zu haben. Auch auf Demos. Gern auch mit tanzbarer Musik. Es geht ja ums Präsenz-Zeigen und nicht darum, möglichst traurig zu sein. Aber nach einen sonnigen Herbstspaziergang zu Technomusik erst aufgekratzte Entertainmentsprüche statt einer Abschlusskundgebung hören zu müssen und dann kommt Dr. Motte und schwurbelt sinnloses Zeug daher, das ist nicht so ganz meine Idee von politischer Kundgebung. Aber ich hielt die Berliner Love Parade auch für eine Party.
Und dann gibt es da noch eine Humorgrenze für mich: Der staatliche Überwachungswahn ist Teil einer Ideologie und Teil einer Industrie. Das Misstrauen gegenüber den Beherrschten ist bei konservativen Machteliten sehr sehr groß. Die Profitmöglichkeiten derer, die dank laschem Datenschutz etwas verdienen können, auch. Die steigende Überwachung und die Beschneidung der bürgerlichen Freiheiten haben komplexere Ursachen als “Schäuble”. Nun mag dessen Konterfei eine gute Schablone, ein passendes Label für den eigenen Protest hergeben, immer hin entblödet sich der Bundesinnenminister regelmäßig mit neuen Ideen, wie er uns kollektiv einsperren kann. Aber: Die aktuelle sogenannte Sicherheitspolitik hat nun mal eher gar nichts mit Herrn Schäubles attentatsbedingter Lähmung zu tun. Traurig, dass darauf auch am vergangenen Samstag immer wieder angespielt wurde.
Ebenfalls allergisch reagiere ich auf Kinder-Instrumentalisierung bei Demos. Offensichtlich noch vor dem Stimmbruch stehende Kinder haben meiner Meinung nach nicht die reflektorische Fähigkeit zu verstehen, wofür genau sie gerade demonstrieren. Muss auch nicht sein. Um das zu lernen, werden sie groß und je früher sie solche Veranstaltungen kennen lernen, umso mehr Erfahrung werden sie hoffentlich später haben, um ihr eigenes politisches Engagement zu definieren. Aber wenn diese Kinder dann Demoparolen über den Lautsprecherwagen schreien dürfen, dann kommt mir das unpassend und lächerlich vor.
Das kommt jetzt viel vertrockneter als ich es meine, aber unterm Strich hat mir da am am Samstag ganz massiv der angemessene Ernst und der Bezug zur Sache gefehlt.